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Buchrezension: Ephraim Kishon – Der seekranke Walfisch

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Es ist immer wieder überraschend, auf welche Art und Weise uns manchmal interessante Bücher begegnen. So fand ich mich eines Tages auf Borkum in unserem gemieteten Ferienhäuschen, wartete auf meine Frau, die unseren Sohn ins Bett bringt und schaute dabei entlang eines winzig kleinen Bücherregalchens, welches sich in eben demselben Ferienhaus befand. Frühere Feriengäste stellten hier offenbar die bereits durchgelesenen Bücher ab, die sie nicht zurück nach Hause mitzunehmen gedachten, einer Sitte, der ich mich stets gern anschließe (und den “Käfig” von Lamdon hinterließ).

Dabei sprang mir ein dünnes Büchlein ins Auge, verfasst von Emphraim Kishon, einen Schriftsteller, von dem ich tatsächlich noch kein einziges Buch jemals gelesen habe, dessen Name mir aber wiederholt, vor allem in der Buchsammlung meines Schwiegervaters, mehrfach begegnet war.

Spontan griff ich ins Regal, zog das dünne Büchlein heraus und las den Titel: “Der seekranke Walfisch”. Dieser sprach mich sofort an, also wandte ich den Blick auf die letzten Seiten: “Ein Israeli auf Reisen” stand dort.

Was tut nun ein Israeli auf Reisen, fragst Du? Lassen wir Kishon die Antwort geben.

Er “kocht seine Mahlzeiten stets auf dem Zimmer und schmuggelt die Zutaten im Geigenkasten ins Hotel.”

Er “betritt niemals ein Museum, ohne für zwei Tage Proviant mitzunehmen.”

Er “fährt überhaupt nur ins Ausland, weil seine Regierung dagegen ist.”

Es wäre unmöglich, zu erwarten von mir, dass ich nach eben solcher Anleitung das Buch überhaupt noch weglege. Ich nahm sofort Platz auf der Couch, schob meinen Reise-Kindle zur Seite und vertiefte mich in das dünne Büchlein, sofort unentrinnbar in seinen Sog einbezogen.

Kishon, ein jüdischer Schriftsteller, begibt sich auf eine Reise durch Europa. Erst auf die Insel Rhodos, wo er das berühmte Tal der Millionen Schmetterlinge (ohne Schmetterlinge) besuchen möchte, bevor er nach Italien wechselt und an der Bürokratie verzweifelt, die puritanische Sauberkeit der Schweiz entdeckt, die Hochnäsigkeit Frankreichs erforscht und endlich nach England wechselt.

Im grenzenlosen Sarkasmus, aber mit erstaunlicher Treffsicherheit nimmt Kishon nun die einzelnen europäischen Nationen auf die Schippe. Mit Ausnahme von Rhodos kenne ich alle der besuchten Länder und zu meiner größten Belustigung fand ich meine Erfahrungen von Kishon bestätigt.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich in ihrer Mentalität die einzelnen Nationen Europas sind, ja, sogar untereinander. Den Text schreibe ich gerade auf Borkum, inmitten eines Insulanervolkes, das wohl mehr gemeinsam hat mit Holland als mit südlichem Hessen, wo ich herkomme, doch beides gehört einem Deutschland ein.

Kishon, als ein Israelit und damit einem völlig anderem Kulturkreis angehörend, schreibt über die uns so vertrauten Nationen Europas mit einer Überspitzung, die seinesgleichen sucht. Dennoch entsprechen seine Erfahrungen wunderbar den unseren: die penible Sauberkeit und Gesetzesliebe der Schweizer steht in vollkommener Diskrepanz zu der südländischen Lockerheit und Nachlässigkeit der Italiener, deren grenzenloser und fassungsloser Bürokratie ich schon zu begegnen das Missvergnügen hatte. Auch über die Hochnäsigkeit französischer Kellner und Taxifahrer in Paris, einer wunderschönen und erstaunlichen, aber auch unrühmlich arroganten Stadt habe ich mich ebenso wie Kishon geärgert.

Wunderbar ist seine Art zu schreiben, seine Spitzen, sein tropfender Sarkasmus, mit welchem er zielgenau die einzelnen Völker auf die Schippe nimmt, schamlos ihre Schwächen vor die Augen führt und hemmungslos auf die Kandare führt. Man lacht über jeden zweiten Satz, schüttelt den Kopf und erinnert sich eigener Erfahrungen, die doch nicht so viel anders waren.

Ein absolut empfehlenswertes Buch für jeden Reisenden und der Beginn einer wundervollen Freundschaft mit einem neuen Autor, dessen Werke in Kürze meine Bibliothek bereichern werden.


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